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Patienteninterview Therapieresistente Depression (Teil 1)

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Patienten mit einer therapieresistenten Depression müssen oft einen langen Weg gehen, bis sie diese Diagnose gestellt bekommen. 

So ging es auch unserem Interviewpartner und Betroffenen M. J (20 J.). Er erzählt im ersten Teil des Interviews vom Beginn seiner Erkrankung, den täglichen Herausforderungen in Schule & Familie sowie dem wachsenden Leidensdruck & seiner Verzweiflung trotz vieler Therapieversuche vielleicht nicht die passende Behandlung zu erhalten. Im zweiten Teil beschreibt er seine Therapieodyssee, gibt aber auch ein Update, wie es ihm heute geht und wie er seinen Alltag meistert. 
Vielen Dank M. J., dass Sie Ihre Erfahrungen mit uns teilen!

Frage: Zum Einstieg: Erzählen Sie uns doch kurz etwas über sich und Ihre Lebenssituation!
M. J.: Ich bin 20 Jahre alt, habe dieses Jahr im Sommer mein Abitur gemacht und daraufhin im September meinen einjährigen Freiwilligendienst in den USA begonnen.
Seit der Scheidung meiner Eltern wohne ich bei meiner Mutter; mein Bruder ist aufgrund seines Studiums bereits ausgezogen. 

Frage: Wie begann Ihre Depression?
M. J.: Erstmals mit einer depressiven Episode diagnostiziert wurde ich 2018, also mit 16 Jahren. Nachdem mein Alltag über einen längeren Zeitraum hinweg zunehmend von Symptomen meiner Erkrankung eingeschränkt wurde, habe ich mich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Dafür habe ich einige Erst-/ Kennenlerngespräche mit einer Therapeutin geführt, auf die ich über das Internet aufmerksam geworden bin. Sie konnte mir jedoch keinen festen Therapieplatz anbieten, hat mich aber an einen Kollegen einer anderen Praxis weitergeleitet, der mir nach einigen Wochen Wartezeit einen festen Therapieplatz anbieten konnte.

Frage: Wie genau hat sich Ihre Depression geäußert: Welche Symptome haben Sie an sich bemerkt? Und wie haben diese Ihren Alltag beeinflusst?
M. J.: Besonders bemerkbar gemacht hat sich die Depression bei mir durch eine starke Antriebs-, Interessen- und Emotionslosigkeit. Alles hat mich erschöpft und war unfassbar anstrengend für mich. Es war mir kaum möglich, Motivation und Lust für irgendetwas aufzubringen – auch eigentlich positive Aktivitäten wie Treffen mit Freunden. Anstelle der Verabredungen habe ich Stunden in meinem Bett mit Grübeln verbracht. Das hat sich alles andere als positiv angefühlt; leider genauso wenig positiv, wie Treffen mit Freunden. Doch im Verhältnis waren diese dann noch deutlich anstrengender, da dafür mehrere Schritte notwendig waren: Umziehen, fertig machen, Bahn fahren. Gleichzeitig war in mir ständig das Gefühl, eher eine Last zu sein, nur aus Mitleid eingeladen worden zu sein und die Stimmung runterzuziehen. 

Schwierigkeiten aus dem Bett zu kommen haben außerdem dazu geführt, dass ich es vermehrt nicht mehr geschafft habe, rechtzeitig zur Schule oder zu anderen Terminen zu kommen. Zusammen mit erheblich verschlechterter Konzentration hat das auch meine Noten in der Schule beeinflusst. Gesprächen folgen, ein Buch lesen, oder auch einen Film gucken war mir zu viel – die Konzentration dafür konnte ich oft nicht aufbringen. Außerdem habe ich ständig alles vergessen. 
Nach der Schule bin ich zudem immer sofort wieder ins Bett gegangen, weil ich sehr erschöpft war. Abends konnte ich dann nicht vernünftig einschlafen.

„Oft habe ich mir die Frage stellen müssen, warum ich all das über mich ergehen lassen muss und warum ich mir solch einen Stress mache, wenn mein Leben so aussehen sollte, ohne Chance auf Besserung.“

Frage: Wie haben Sie die Diagnose gestellt bekommen? War es Ihr Hausarzt, der Sie darauf angesprochen hat, ob es Ihnen nicht gut geht oder waren Sie die treibende Kraft?
Ich habe sehr lange gedacht, ich würde mich bestimmt gerade nur in einer schulisch stressigen Phase befinden. Diese „stressige Phase“ hat aber einfach kein Ende genommen. Daher habe ich also auf die kommenden Sommerferien gehofft, in denen ich neben Freizeit und Zeit für Erholung auch schönen Urlaub geplant hatte. Ich dachte „Dann geht es mir bestimmt gut und ich fühle mich wieder besser“. Als sich aber mein Verhalten, meine Stimmung und meine Gedanken auch über die ganzen Ferien hinweg nicht verändert haben, ich auch da das Bett am liebsten gar nicht verlassen hätte, habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmen kann. Dann habe ich mich auf eigene Initiative bei der Psychologin gemeldet. Im Laufe des ganzen Prozesses, wurde ich natürlich auch noch an meinen Hausarzt verwiesen und habe mich durchchecken lassen. Der Befund war aber, dass man keinen körperlichen Grund feststellen konnte.

Frage: Wie haben Sie sich nach der Diagnose gefühlt und wie haben Ihr Umfeld, Freunde und Bekannte, auf die Diagnose reagiert?
M. J.: Für mich hat sich nach der Diagnose nicht viel geändert. Ich war zu der Zeit häufig so sehr in meinen Gedanken und wie in einem geistigen Tunnel gefangen, dass mir egal war, wie man den Zustand nennt. Für mich hat sich höchstens mehr noch das Gefühl breitgemacht, diesen Zustand nicht mehr wieder loszuwerden. 
Meine Mutter hat sich lange viele Vorwürfe gemacht, nicht früher etwas bemerkt oder unternommen zu haben. Sie hat dann versucht, mir Aufgaben abzunehmen, die ich nicht geschafft habe, und gleichzeitig versucht, mich zu motivieren Dinge zu unternehmen und mich aus dem Haus und dem Bett zu bekommen. Mein Vater hat aus den gleichen Motiven versucht, mich einfach in Aktivitäten zu involvieren. Für beide war es, glaube ich, schwer zu sehen, dass es mir so schlecht ging, dass sie in dem Moment nicht viel machen können, und auch, dass kein Fortschritt zu erkennen war.

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